Bei Ottos wiederentdeckt

 

Martina Berscheid über „Sommerhaus, später“ von Judith Hermann

Vielleicht fing sie mit Judith Hermann an, meine Liebe zu Kurzgeschichten und Erzählungen, bevor ich selbst begann, welche zu schreiben. Vor ein paar Wochen fiel mir Hermanns Buch Sommerhaus, später bei Otto ins Auge, und zu Hause holte ich meine eigene Ausgabe aus dem Regal.
Sommerhaus, später umfasst neun Geschichten, erntete begeisterte Kritiken und wurde - erstaunlich für einen Erzählband - mehr als 250.000mal verkauft. Hermanns Figuren scheinen eine diffuse Sehnsucht in sich zu tragen und nicht so recht zu wissen, was sie wollen. Ihre Entscheidungen, wenn sie denn welche treffen, erscheinen willkürlich, intuitiv und manchmal für sie selbst überraschend, ihr Leben gleicht einer Inszenierung. „Sich so ein Leben vorstellen“ lautet denn auch das Spiel zweier Frauen in der Erzählung Hurrikan (Something farewell). Die beiden besuchen einen Freund auf einer Karibikinsel, verbringen ihre Tage dort auf der Veranda und verfolgen die täglichen Hurrikanmeldungen, als hofften sie, dass etwas Großes, Dramatisches in ihrem Leben geschieht. Die Abende sitzen sie Rum trinkend in der Inselbar und stellen sich vor, wie ein Leben mit einem Inselbewohner aussehen könnte, und vielleicht nur aus diesem Grund lässt sich eine der beiden von einem Einheimischen küssen.
Die Erzählung Sonja hat mir am besten gefallen. Ein junger Künstler, zufrieden mit seiner Arbeit und glücklich verliebt, fängt dennoch an, sich mit Sonja, einer Zugbekanntschaft, zu treffen, die er „überhaupt nicht schön“ findet. Immer wieder sucht er ihre Nähe, erzählt von sich, während Sonja kaum etwas redet, als bräuchte er sie als Resonanzboden, als gewänne er durch ihr Zuhören und ihre Aufmerksamkeit an Bedeutung. Er zieht mit ihr durch Bars, unternimmt Ausflüge, sie besucht ihn, mehr läuft nicht zwischen ihnen. Nebenbei telefoniert er mit seiner Freundin in Hamburg, ohne Zweifel an seiner Liebe zu ihr. Irgendwann spielt Sonja dieses Spiel nicht mehr mit und verschwindet – was in dem Künstler eine große Leere auslöst und ihm klar macht, dass er Sonja vielleicht doch geliebt hat.
Obwohl scheinbar wenig passiert, spürt man in Hermanns Geschichten unterschwellige Spannungen, die Brüche unter der Oberfläche. Auffallend schön ist der Rhythmus ihrer Sprache. Die Autorin schafft es, Zwischentöne zu erzeugen, eine leise Unruhe auszulösen, welche die Passivität der Figuren aufreißen und Verletzlichkeit und Orientierungslosigkeit hinter ihrem oft coolen, gleichgültigen Gehabe hervorscheinen lässt. Hermanns nachfolgendes Buch Nichts als Gespenster hat mir ebenso gut gefallen, und seither wollte ich immer mehr Erzählungen lesen, und ich fand sie, z. B. in Was man von einigen Leuten nicht behaupten kann von Lorrie Moore (schräge Figuren, tolle Sprache), Karen Köhlers großartiges, (mir) tief zu Herzen gehendes Buch Wir haben Raketen geangelt, Wie viel Vögel von Franziska Gerstenberg, Zehn von Andrej Longo (zehn Geschichten, die im Mafia-Milieu spielen, die Zehn Gebote als Titel), Eva Menasses Tiere für Fortgeschrittene (jede Geschichte basiert auf einer kuriosen Tiermeldung, welche die Autorin über Jahre gesammelt hat) und, kürzlich entdeckt, die mich nachdenklich stimmenden Sunday Tales von Lilly Rabenau. Vielleicht finde ich bei einem meiner nächsten Besuche in Ottos Bücherkabinett eins dieser Bücher im Regal … Derzeit lese ich Kurze Notizen zu tropischen Schmetterlingen, Stories von John Murray – neulich bei Otto entdeckt.

Martina Berscheid, Oktober 2017


Martina Berscheid über „Schiffsmeldungen“ von E. Annie Proulx

Ottos Bücherkabinett, das ist eine Schatzkammer für alle LiebhaberInnen des geschriebenen Wortes. Und da Literatur meine einzige, dafür jedoch unstillbare Sucht ist, zieht es mich, seit ich diese Schatzkammer vor knapp zwei Jahren entdeckt habe, alle paar Wochen dorthin. Jedes Mal ist es spannend, durch die Regalreihen zu streifen, Neues, Interessantes zu entdecken (wie etwa „Im ersten Licht des Tages“ von Helen Dunmore), oder einen den Titel zu finden, der schon lange auf der stetig wachsenden Liste der Wunschbücher steht (wie etwa „Zwei schwarze Jäger“ von Brigitte Kronauer, „Landgericht“ von Ursula Krechel oder „Fast genial“ von Benedict Wells.)
Genauso schön ist es, jene Bücher aufzustöbern, die zu Wegbegleitern, ja Lebensgefährten geworden sind, die man selbst zu Hause im Regal stehen, jedoch schon lange nicht mehr gelesen hat. So fand ich die Krimis von Elizabeth George um das Ermittlerduo Lynley und Havers, deren spannende Plots und psychologische Raffinesse mich als junge Erwachsene in Bann geschlagen haben. Ich stieß auf Carson McCullers „Das Herz ist ein einsamer Jäger“, ein Titel, den ich von allen, die ich kenne, für einen der wunderbarsten halte. Cullers Roman ist voller sonderbarer Menschen, und ihr Buch prägte meine Vorliebe für Einzelgänger, Gegen-den-Strom-Schwimmer, für die Abgesonderten, stillen Unangepassten und Suchenden, die sich zuweilen auch in meinen eigenen Texten finden.
Ein Außenseiter ist auch Quoyle, die einsame, traurige Hauptfigur in „Schiffsmeldungen“, dem beeindruckenden Roman von E. Annie Proulx, der mir kürzlich bei Otto wieder in die Hände fiel. „Gesichtszüge so verkniffen wie sich berührende Fingerspitzen. ... Das monströse Kinn, ein grotesker Vorsprung, der aus der unteren Gesichtshälfte ragte“, so beschreibt Proulx Quoyle auf den ersten Seiten. Vom Vater verachtet, vom Bruder verspottet, schlägt er sich durchs Leben, findet eine Frau, die ihn betrügt, durchbrennt und bei einem Autounfall ums Leben kommt. Seine Tante überredet ihn daraufhin, ihr mit den beiden kleinen Töchtern nach Neufundland zu folgen, dem Heimatland der Familie. Dem schroffen Klima und Leben dort zum Trotz fasst Quoyle Fuß. Er wird Redakteur einer Lokalzeitung und verantwortlich für die Kolumne „Schiffsmeldungen“.
In einer rauen und gleichzeitig poetischen Sprache, in knappen Sätzen und ungewöhnlichen Bildern zieht Proulx den Leser in ihre Geschichte von Menschen, die dem Leben trotz widriger Umstände ein Quäntchen Glück abringen. Allein sprachlich ist dieses Buch ein Genuss, vor allem für jene, die Naturbeschreibungen, Metaphern und bildhafte Vergleiche lieben. „Am Horizont Eisberge wie weiße Gefängnisse. Das riesige blaue Gewebe des Meeres, verkrumpelt und verknittert“, ist nur eines von vielen Beispielen.
„Schiffsmeldungen“ ist für mich eines der Bücher, die mich sowohl als Leserin wie als Schriftstellerin nachhaltig fasziniert haben. Ich freue mich schon auf den nächsten Besuch bei Ottos und bin gespannt, welche Buchschätze - alte, neue, ungewöhnliche, lang ersehnte oder wiedergefundene - ich diesmal aufspüren werde.

Martina Berscheid, Schriftstellerin, November 2016


Ernst Segatz über „So kam der Mensch auf den Hund“ von Konrad Lorenz

In Ottos Bücherkabinett habe ich das kleine dtv-Taschenbuch des bekannten Nobelpreisträgers wiedergefunden, das ich als Student in den 70er Jahren zum ersten Mal gelesen habe, und für kleines Geld gekauft. Damals bekam ich auch meinen ersten eigenen Hund, einen Jagdterrier-Rüden namens „Axel“, der mich beinahe 16 Jahre lang während meines Forst-Studiums und in den ersten Berufsjahren begleitet hat.
Konrad Lorenz verkehrt in seinem Büchlein den negativen Begriff des „ auf den Hund Kommens“ in das schiere Gegenteil, wenn er zum Ausdruck bringt: „Jeder Hund ist besser als gar keiner“. Vermenschlichung und Überhöhung nach dem Motto „Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere“ sind ihm jedoch suspekt.
Auch wenn die Wissenschaft heute bei der Erbgutentschlüsselung sehr viel weiter ist, was z. B. die Abstammung des Haushundes betrifft -  Lorenz geht von einer Abstammung der meisten Hunderassen vom Goldschakal aus, sind seine allgemeinen Feststellungen dennoch aktuell wie eh und je. Dies gilt gerade auch für seine Ablehnung der Auswüchse bei kommerzieller Hundezucht und bei den Standards bestimmter Hunderassen.
Konrad Lorenz war etwas über 60 Jahre alt, als er das Büchlein schrieb. So kann ich in vergleichbarem Alter sehr gut nachempfinden, wenn er anmerkt, wieviel Leid trotz aller Freude am tierischen Begleiter der Tatsache geschuldet ist, dass Hunden eine etwa fünfmal kürzere Lebensdauer zu bemessen wurde. Mehrfach erlebt man die im Verhältnis zum Menschen sehr rasche Abfolge vom Welpen über die vitale Lebensmitte hin zu Alter und Verfall.
Lorenz geht es bei seinen Verhaltensstudien immer auch  um das Verständnis des menschlichen Verhaltens. So fand ich bei Ottos vor kurzem als weitere Lektüre dieses Autors das  Buch „Der Abbau des Menschlichen“.
Das Stöbern in den langen Bücherregalen fasziniert mich immer wieder, ja man muss geradezu aufpassen, nicht „büchersüchtig“ zu werden.

Ernst Segatz, Quirnbach (Juli 2015)

 

Jules Barrois über …und nähme doch Schaden an seiner Seele von John Braine

Wir, das waren einige Gymnasiasten der Unter- und Obertertia des Realgymnasiums Dillingen verschlangen alles an Literatur, was uns in die Hände fiel, oft mit leiser Nachhilfe durch unseren Deutschlehrer Bruno Jost. Ich erinnere mich noch an Sartre, Camus, Jean Genet, D. H. Lawrence und andere.
Und dann fiel uns ein englischer Schriftsteller in die Hände: John Braine. Er gehörte zur Bewegung der Angry Young Men, der zornigen junge Männer. Und genauso fühlten wir uns damals, 1957/1958 ebenfalls. Und sein Erstlingswerk war für uns eine Offenbarung: „…und nähme doch Schaden an seiner Seele“ Der Protagonist ist ein cleverer junger Mann (Joe Lampton), der seinem tristen Heimatort Dufton den Rücken kehrt und in Warley als Beamter eine berufliche Laufbahn beginnt. Er ist ein Mordshecht (Boxer, Ex-Soldat, witzig, intelligent und sehr gutaussehend) aber weitgehend desillusioniert. Das ändert sich auch nicht, obwohl sich seine Situation deutlich ändert.
Lampton lernt die wahrhaft Wichtigen langsam kennen und beginnt ein Verhältnis mit einer Frau Mitte Dreißig, die er aufrichtig liebt ... allerdings ist das nun auch wieder etwas hoch gegriffen. Auf jeden Fall fühlt er sich bei ihr wohl und beide funken im Bett auf derselben Wellenlänge. Dennoch zieht es ihn zu einem bildhübschen Dingchen hin, das die Tochter des reichsten Mannes in Warley ist - und Joe, der wie ein durchschnittlicher Bürger verdient, hat einen Konkurrenten aus dem Besitzbürgertum, der am Tag etwa halb so viel Geld ausgeben kann, wie Joe im Monat verdient. Alles führt ins Chaos.
Wir fingen an Joe Lampton nach zu eifern, uns keine Brillantine mehr ins Haar zu schmieren, keine Hüte auf zusetzen, nur eine 35-jährige verheiratete Geliebte zu finden, das war schon schwieriger. Wir konnten die für uns wichtigen Sätze zitieren und brachten sie in unseren Gesprächen als eigene Weisheit unter.
Erst im Laufe der Jahre habe ich feststellen dürfen, wie mich und mein Leben John Braine und sein Held Joe Lampton geprägt hatte. Er ist nicht unbedingt sympathisch, aber echt und realistisch, er gibt sich absolut keinen Illusionen hin, bleibt aber immer sehr menschlich.
Das Buch und auch die beiden Nachfolgebücher „Denn die einen sind im Dunklen“ (1960) und „ Ein Mann der Gesellschaft“ (1963) waren komplett von meinem Radar verschwunden. Bis … ja bis ich „…und nähme doch Schaden an seiner Seele“ in Ottos Bücherkabinett wiederfand.
Ich war noch genauso fasziniert von diesem Buch wie vor 57 Jahren und hoffe, dass ich bald bei Ottos Bücherkabinett die beiden Folgebände abholen kann.


Jules Barrois, Merzig (März 2014)

 

Dana Schindler über Noah Gordon: Der Medicus, 1987

Vor einiger Zeit fand ich bei Ottos ein wunderbares Buch. Der lebhaft bunte Umschlag fiel mir sofort ins Auge. “Der Medicus” von Noah Gordon, Ausgabe 1987. Nicht unbedingt die erste Wahl einer 18-jährigen. Dennoch kaufte ich mir das Buch und fing sofort an zu lesen.

Innerhalb weniger Tage verschlang ich 627 Seiten und befand mich in einer neuen, atemberaubenden Welt.

Der Roman erzählt die ungewöhnliche Lebensgeschichte von Robert Jeremy Cole. Der junge Mann beschreitet im von Traditionen und Vorurteilen bestimmten Mittelalter seinen ereignisreichen Lebensweg von England bis nach Persien und wieder zurück nach Schottland. In seinen Jugendjahren erlernt er den Beruf des Baders, doch er will mehr. So tarnt der Christ sich als Jude um nach Persien zu reisen und dort zu einem richtigen Medicus zu werden, ohne getötet zu werden. Mehr will ich gar nicht verraten....

Jeder, der dieses Buch noch nicht gelesen hat, sollte es tun. Eine außergewöhnliche, wundervolle Geschichte über den Lebensweg eines englischen Christen, der alles verloren hatte und doch seine Lebensaufgabe finden konnte.

Durch dieses Buch wurde in mir eine ganz neue Leidenschaft entfesselt. Ich wand mich von Krimis, Thrillern und “Mädchenbüchern” ab und begab mich in eine ganz neue Welt: das Mittelalter.

Einige Monate später, vielleicht sogar ein ganzes Jahr, erschien im Kino der gleichnamige Film zu Gordons Roman. Natürlich war ich Feuer und Flamme für diesen Film und wurde auch nicht enttäuscht, wobei das Buch um Längen besser ist.

Ich erinnerte mich, wo ich das Meisterstück zum ersten Mal in Händen hielt: bei Ottos. Den darauf folgenden Samstag umgaben mich die vielen Bücher in Ottos Regalen und ich wandelte wieder in neuen Atmosphären.

Dana Schindler, Schülerin

 

Hans-Joseph Britz über J. Chr. v. Mannlich: Rokoko und Revolution, Stuttgart 1966:

Man findet es nicht mehr so häufig, jenes 1966 neu aufgelegte Werk mit dem Titel „Rokoko und Revolution“. Der Inhalt jedoch sei jedem empfohlen, der sich mit dem Herzogtum Pfalz-Zweibrücken und seinen Fürsten, mit der Französischen Revolution und mit dem neu erstarkten Königreich Bayern beschäftigen möchte. In erster Linie aber ist die Lektüre dieses Werkes ein „Muss“ für jeden, der unsere engere Heimat, genauer: das einstige Schloss Karlsberg, kennen lernen möchte. Der berühmte Freiherr von Knigge nannte es „Feenschloss“, andere Zeitgenossen sahen in ihm die größte Landresidenz Europas. Jedenfalls beschreibt Johann Christian Mannlich (1741-1822) in nicht geringem Umfang und authentisch das Leben an den Höfen von Christian IV. bis zu König Max I. Joseph.

Mannlich notiert eigentlich „sein“ Leben wie in einem Tagebuch: biografisch. Und er schreibt gut! Manchmal richtig spannend und einiges in den Memoiren ähnelt einem Krimi. Zum Beispiel wenn es um die illegalen Geldgeschäfte und die Flucht des Freiherrn von Creuzer oder um die schreckliche Raketenexplosion in der „Karlslust“ (heute ein Teil des Homburger Waldes) geht. Nicht zuletzt erscheint die Rettung jener großartigen Karlsberger Gemäldesammlung, die später den Grundstock für die Alte Pinakothek in München bildete, durch Mannlich selbst wie ein Krimi. Dort wo heute Beschaulichkeit und Ruhe herrscht, ging’s beim „Hundskarl“ hoch her. Von Sparen wollte der feine Herr nichts wissen und viele seiner Untertanen wollten deswegen auch nichts von ihm wissen. Der Herzog ist und bleibt eine widersprüchliche Erscheinung. Ende Juli 1793 kommen die Franzosen und brennen das Schloss innerhalb von 3 Tagen nieder. Später mussten die Bewohner der Umgebung alles an brauchbaren Steinen bis zu den Grundmauern abtragen.

Mannlichs Werk gliedert sich in 7 Teile. Zunächst beginnt er mit Erzählungen aus seiner Jugendzeit, dem Interesse an der Malkunst, die Christian IV. wohlweislich fördert, seine Begegnungen in Versailles und am Hofe Ludwigs XV. Teil 2 + 3 handeln von seiner Reise zur Französischen Akademie der Künste nach Rom, wo er allerlei räuberischen Machenschaften ausgesetzt ist und von seinem interessanten Studium in der Hauptstadt des Katholizismus. Mannlich beschreibt Rom, Neapel, Pompeji und Florenz. Im 4. Teil erfahren wir, wie es am herzoglichen Hof Christians zuging: in Mannheim und in Zweibrücken. In letzterer Stadt bekommt er ein Häuschen für sich und seine spätere Familie.

Hier konzipiert er auch ein Hoftheater.

Der 5. Teil ist Karl II. August, „unserem“ Landesherrn gewidmet. Mannlich nennt die Dinge, auch die Mätresse, deren Namen bis heute in Homburg mehr geläufig ist als der der Herzogin: die Madame Esebeck. Bei Abbe Salabert, der in der Vorstadt ein schönes Anwesen sein eigen nennt, fühlt sich Mannlich wohl und ist gerne bei dem gastfreundlichen „Titularabt“ von Tholey zu Gast. Titularabt bedeutet: in der Abtei Tholey hängt das Portrait des Abbe, er selbst wandelt lieber in Homburg. Selbstverständlich erfahren wir hier auch viele Details über den Schlossbau und mehr noch: über die Charaktereigenschaften des Herzogs.

Im 6. und 7. Teil des lesenswerten Buches bringt uns Mannlich die Drangsal der Revolutionsjahre nahe: Wüste Geschehnisse, Plünderungen, Brandschatzung, Gefangenschaft…Wir lassen uns nicht weiter darauf ein – so manches wiederholt sich ja bis in unsere Tage- und gehen lieber zum interessanten letzten Teil der Memoiren: Mannlich als Generaldirektor der staatlichen Galerien und Kunstsammlungen Bayerns. Die Krönung seines Lebens und seines Wirkens. Wer mehr über Mannlich und seine Kunst erfahren möchte, sollte das Edelhaus in Schwarzenacker besuchen: Dort befindet sich seit Ende 2003 eine Galerie unter dem Titel „Johann Christian von Mannlich und die Pfalz-Zweibrücker Malerei aus dem 18. Jahrhundert“.

Hans-Joseph Britz


Ursula Junker über "Deutschland" von René Trintzius

Ich habe bei Ottos ein kleines Büchlein in einem zauberhaften Jugendstil-Umschlag entdeckt: „Deutschland“ von René Trintzius.

Der junge Held reist in den zwanziger Jahren nach Deutschland. Er verliebt sich in Ingrid. Wird von deren Freundin entführt. Nachts. Mit Ingrids Einverständnis. Er verlobt sich beinahe mit der Freundin; doch die verlässt ihn und begeht wenig später Selbstmord. Ingrid kehrt von ihrem Langstreckenflug zurück und heiratet ihn.

Nach all den Querelen dieser Tage um Deutschlands Rolle in Europa gefiel es mir, wie der junge Franzose mein Land und meine Landsleute in den zwanziger Jahren beschrieb: modern, witzig, charmant, ein bisschen frivol, dabei liebenswürdig.

Ich erinnerte mich an alte Lieder und Filme voller Witz und Eleganz. An Kurt Tucholsky. Rheinsberg und Schloss Gripsholm sprühend vor Leichtigkeit. Es war nicht allein die jugendliche Begeisterung des René Trintzius. Wir waren so. Kaum zu glauben - so unglaublich waren wir auch einmal.

Wenig später, wieder bei Ottos und wie zur Bestätigung fällt mir noch ein anderes kleines Buch in die Hände: „ … ich soll dich grüßen von Berlin. Erinnerungen 1922 – 1932“ von Fred Hildenbrandt, damals Feuilleton-Chef beim Berliner Tagesspiegel. Auch hier: Ernsthaftigkeit mit Stil und Leichtigkeit mit Charme.

Ich habe meine Faszination für die Jahre der Weimarer Republik wiederentdeckt. Nicht nur für die politischen Fakten. Mehr noch für das Lebensgefühl dieser Zeit trotz der Fakten. Ich muss weiterlesen: Emil Noldes Autobiographie, Döblin, … .

Ursula Junker, JunkerSprachen, Homburg (Oktober, 2013)